Christian Dürr: Wir wollen die Wirtschaft wieder in Gang bringen

Der FDP-Fraktionsvorsitzende Christian Dürr gab dem Deutschlandfunk (Freitag) das folgende Interview. Die Fragen stellte Stefan Heinlein.

Christian Dürr MdB

Frage: Viele finanzpolitische Bälle sind derzeit in der Luft. Wie anstrengend werden die Haushaltsberatungen der kommenden Wochen für alle Beteiligten?

Dürr: Also Haushaltsberatungen sind naturgemäß eine Herausforderung. Denn es geht darum, mit dem Geld der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler verantwortungsbewusst umzugehen. Insofern ist es richtig, dass man sich das schwer macht und nicht leicht macht. Wir kennen ja die Zeiten der Großen Koalition, wo das Geld mit vollen Händen ausgegeben worden ist. Es sind Schulden gemacht worden, als ob es kein Morgen gäbe. Und das war falsch. Das hat diese Koalition auch auf Wunsch und Druck der FDP richtigerweise geändert. Und dabei sollten wir bleiben.

Frage: Auffallend ist ja, wir haben es gerade gehört in dem Bericht, dass es von der FDP, von ihrem Finanzminister, aber auch von Ihnen, Herr Dürr, während der Ostertage eine ganze Reihe von Wortmeldungen gab zu Projekten der Ampel, also Bürgergeld, Schuldenbremse, Kindergrundsicherung, Steuersenkungen, Neufinanzierung der Verteidigungsausgaben und dann noch die Rente. Warum geht die FDP, warum gehen Sie damit an die Öffentlichkeit? Warum diese Wortmeldungen, diese Interviews? Warum wird die Haushaltsdebatte, die schwierig wird, wie Sie sagen, nicht erst intern geführt?

Dürr: Es geht ja darum, für die kommenden Jahre Reformpolitik für Deutschland zu machen. Und das große Problem – jetzt müssen wir uns mal Deutschland anschauen im Jahr 2024 – das große Problem ist doch, machen wir uns nichts vor, in Deutschland hat es anderthalb Jahrzehnte faktisch keine Reformpolitik gegeben. Die Große Koalition hat wirtschaftspolitisch – ich sage das in der Härte und Deutlichkeit – nichts geleistet. Im Gegenteil: Wir haben zu geringe Wachstumsraten. Ich finde, diese Koalition kann sich zurechnen, dass sie einiges geändert hat: Steuerliche Entlastung endlich für die hart arbeitende Mitte, die hat es gegeben in dieser Koalition, auch auf Wunsch der FDP. Reformpolitik, beispielsweise beim Thema Planungsbeschleunigung, in der Haushaltspolitik. Wir sprachen gerade darüber. Die Schuldenquote in Deutschland sinkt endlich wieder. Wir haben umgesteuert, aber merken ja gleichzeitig: Das reicht noch nicht. Und deswegen finde ich es richtig, dass der Finanzminister über eine Wirtschaftswende redet, wo es jetzt darum geht, diese ausgebliebene Reformpolitik der Vergangenheit, denn das ist verschüttete Milch und Verantwortung der Vorgängerregierung, das zu ändern und das heißt auch, Vorschläge dazu zu machen, wie man Deutschland aus diesem Reformstau rausbringt und endlich wieder zu einem Land macht, wo die Wirtschaft brummt und wächst.

Frage: Jetzt haben Sie meine Frage nicht beantwortet, warum der Finanzminister, Ihr Parteichef Lindner, diese Vorschläge, diese Debatte öffentlich führt und nicht erst intern innerhalb der Koalition und man dann geschlossen als Koalition, als Ampel mit diesen Vorschlägen dann an die Öffentlichkeit geht.

Dürr: Es werden ja von allen Parteien, übrigens auch von der Opposition, richtigerweise Vorschläge gemacht. Das ist doch vollkommen legitim in einer Demokratie. Wir unterhalten uns ja auch nicht über Gesetzesdetails in der Öffentlichkeit, aber es muss ja erlaubt sein – übrigens richtigerweise fragen Journalisten ja auch Politiker, was ihre Haltung in der Sache ist. Und die Haltung der Freien Demokraten ist klar: Wir wollen die Wirtschaft wieder in Gang bringen. Wir wollen, dass der, der hart arbeitet, mehr von dem Geld übrig hat, was er sich und was sie sich erarbeitet. Die Position, glaube ich, darf auf Nachfrage von Journalisten ja auch öffentlich eingenommen werden. Wäre ja verrückt, wenn man negieren würde, dass man die hätte. Das tun SPD und Grüne und übrigens auch die Opposition ja ganz genauso. Wir reden nicht über Details in der Öffentlichkeit, aber die Haltung, wie man zur Wirtschaft steht, wie man zur Wirtschaftswende steht, die darf, glaube ich, deutlich werden.

Frage: Die Opposition, Herr Dürr, kann das sicherlich machen. Das ist die Aufgabe der Opposition, die Regierung zu kritisieren. Aber nicht nur viele Journalisten, sondern viele Bürger fragen sich ja derzeit, warum sich die FDP in der öffentlichen Debatte derzeit benimmt wie eine Oppositionspartei. Also diesen Eindruck kann man ja gewinnen angesichts Ihrer Dauerkritik an vielen Ampelprojekten, also Stichwort Bürgergeld, Kindergrundsicherung und eben jetzt auch Rente.

Dürr: Nein, es geht ja nicht um Kritik. Also denken Sie beim Bürgergeld, was wir erreicht haben. Wir haben im Januar beschlossen, zum ersten Mal in der Geschichte der Grundsicherung in Deutschland, dass diejenigen, die sich einer Arbeit total verweigern, keine Leistung mehr bekommen. Da wird die Leistung auf null gesetzt und wir sagen: Lasst uns den Weg weitergehen, mehr Arbeitsanreize machen. Lasst uns effizienter werden im Sozialstaat. Wir brauchen ja mehr Menschen in Arbeit, die auch Beitragszahler werden. Die entlasten auch den Haushalt wiederum. Ich finde es aber legitim, dass, wenn Journalisten fragen, welche Haltung einzelne Politiker und Parteien haben, dass die dann auch antworten und nicht einfach mit Verweis auf eine Koalition gar nichts sagen. Richtig ist, dass natürlich Details im Hintergrund entschieden werden müssen und innerhalb der Koalition besprochen werden müssen. Aber ich glaube, in einer Demokratie wär es ziemlich verrückt, wenn Politiker einfach nicht mehr antworten auf journalistische Fragen. Ich tue das jedenfalls gerne.

Frage: Das freut uns auch, Herr Dürr. Aber es geht ja nicht nur um die Details, sondern man hat den Eindruck, es geht der FDP auch um das große Ganze. Also wenn Ihr Parteichef Christian Lindner in einem Interview ein Update des Bürgergeldes fordert und in einem Interview dann steuerliche Entlastungen für die Bürger ankündigt, dann klingt das nicht so, als ob diese Pläne, diese Wünsche, eng mit den Koalitionspartnern abgestimmt sind. Oder täuscht dieser Eindruck?

Dürr: Ich meine, wir haben einiges erreicht: Bei der Einkommensteuer immerhin eine Entlastung von 50 Milliarden Euro, das hat eine Vorgängerregierung, unionsgeführt, nie geschafft. Die hart arbeitende Mitte ist nie entlastet worden, jedenfalls nicht in dem Umfang, wie es hätte sein müssen, wurde von ihr schon von einem Vertreter der Böckler Stiftung, wenn ich es richtig verstanden habe, gesagt, dass sogar mehr entlastet worden ist als die sogenannte kalte Progression. Und ich finde, es ist richtig, dass man Leistungsanreize stärkt. Aber davon brauchen wir doch mehr in Deutschland. Ich glaube, diejenigen, die heute Morgen auf dem Weg zur Arbeit sind, die haben doch das Gefühl, dass es gut wäre, wenn sich ihre Leistung noch mehr lohnen würde, auch im Portemonnaie. Und dass das die Haltung der Freien Demokraten ist, ist, glaube ich, auch kein Geheimnis. Einiges haben wir in der Regierung umgesetzt. Wir würden gerne mehr davon machen. Und ich finde, das sollte der Finanzminister auch öffentlich sagen dürfen. Genauso wie Frau Paus ihre Ideen zur Kindergrundsicherung vorträgt. Und wir sagen, was davon gut ist, nämlich Bürokratieabbau ist gut. Das wollen wir gemeinsam erreichen. Wir sind allerdings skeptisch bei 5000 zusätzlichen Stellen, weil das wahrscheinlich nicht so viel mit Bürokratieabbau zu tun hat. Richtig ist aber, die Details, wie man am Ende die politischen Ideen der Parteien dann in Gesetzestext umsetzt, das soll hinter verschlossener Tür passieren. Und das passiert auch.

Frage: Ich versuche es noch einmal. Wusste Olaf Scholz, wussten Robert Habeck oder Annalena Baerbock, dass Christian Lindner eine Reform des Bürgergeldes fordert, in einem Interview? Oder hat das die übrigen Kabinettsmitglieder kalt erwischt?

Dürr: Also beispielsweise gibt es immer wieder Vorschläge von SPD und Grünen, die Schuldenbremse zu reformieren und es überrascht mich nicht. Trotzdem werden wir sagen: Wir werden die Schuldenbremse nicht schleifen. Ich weiß, dass die FDP da eine singuläre Position hat. Auch die Union ist ja bereit dazu. Wir sind es nicht. Nun gibt es Politiker von SPD und Grünen, die es öffentlich fordern, das trage ich denen auch nicht nach, ist die Haltung ihrer Parteien. Aber es wird in dieser Bundesregierung natürlich nicht passieren, solange die FDP dabei ist. Und natürlich ist die FDP für Leistungsanreize auch im Sozialsystem, dass es sich mehr lohnt zu arbeiten, als nicht zu arbeiten. Ein bisschen was haben wir erreicht, aber da bin ich bei Christian Lindner, da kann die Grundsicherung, also das Bürgergeld, früher Hartz IV, weiter upgedatet werden. Und ich finde es auch legitim, das öffentlich zu sagen. Darüber müssen wir in der Koalition sicherlich reden. Und dass wir mehr Leistungsanreize wollen, haben wir, wie gesagt, bei der Einkommensteuer schon bewiesen und teilweise auch bei der Grundsicherung. Deswegen gab es da ja schon Schritte in der Koalition. Aber angesichts der Wirtschaftslage brauchen wir mehr davon. Und es ist ja auch richtig, dass der Wirtschaftsminister sich beispielsweise zu wirtschaftspolitischen Themen äußert und das trage ich ihm auch nicht nach.

Frage: Sie haben das Thema Kindergrundsicherung, den Vorstoß von Lisa Paus, der Familienministerin, angesprochen. Dieses Gesetz wurde ja heiß diskutiert, es gab ein Kanzler-Machtwort und ist dann ja im Grundsatz bereits im Herbst vom Kabinett auf den Weg gebracht, da haben auch die FDP Minister zugestimmt. Warum aktuell jetzt diese Neuauflage der Debatte?

Dürr: Neu ist ja der Hinweis der Familienministerin, man bräuchte jetzt noch mal 5000 zusätzliche Stellen. Und ich finde, da darf man schon hinterfragen, wenn in der Verwaltung 5000 Stellen einfach so geschaffen werden sollen und wir ja im Koalitionsvertrag die Kindergrundsicherung als Vorhaben der Digitalisierung und der Entbürokratisierung festgelegt haben. Das sind ja familienpolitische Leistungen, die den Menschen und den Familien zustehen. Die sollen die leichter erreichen. Das ist ja das Ziel. Es geht um Steuerzahlergeld. Und dieses Steuerzahlergeld investieren wir doch lieber in Familien, als dass wir es in Verwaltungsstellen investieren. Und ich finde, da müssen wir an der Koalition schon drüber reden, dass das Geld bei den Familien ankommt und nicht bei zusätzlicher Bürokratie.

Frage: Sind die Pläne von Lisa Paus also komplett irre und aus der Zeit gefallen, wie es Ihr Parteifreund Nico Tippelt auf dem Nachrichtendienst X so griffig formuliert hat?

Dürr: Ich würde es jetzt persönlich nicht so griffig formulieren, aber ich glaube, es ist doch allen Beteiligten klar, dass 5000 zusätzliche Stellen, ohne dass mehr Geld dann bei den Familien wirklich ankommt, irgendwie aus der Zeit gefallen sind. Das ist, glaube ich, auch jetzt kein Herzensanliegen der Koalitionspartner, 5000 Stellen zu schaffen. Das kann ich mir jedenfalls nicht vorstellen. Wir wollen ja, dass das Geld bei den Familien ankommt, die es dringend brauchen, aber nicht in der öffentlichen Verwaltung. Es geht ja nicht darum, den Staat zu stärken, sondern die Familien in Deutschland.

Frage: Also nicht komplett irre, aber vielleicht handwerklich schlecht gemacht aus Sicht der FDP, so wie einst das Heizungsgesetz von Robert Habeck.

Dürr: Herr Heinlein, Sie fragten mich ja eingangs, ob es klug ist, alles in der Öffentlichkeit im Detail auszutragen. Deswegen sehen Sie mir nach, ich will jetzt gar nicht im Detail das bewerten. Ich wundere mich einfach nur, wie man auf 5000 Stellen kommt. Und das darf, glaube ich, auch öffentlich gesagt werden, wenn wir doch eigentlich Familien stärken wollen und vor allen Dingen entbürokratisieren wollen. Dieser Staat leidet ja darunter, dass er viel zu viel Bürokratie hat im Sozialsystem, in der Wirtschaft. Und da brauchen wir weniger Form und deswegen mehr Effizienz auch im System.